Was ist Selbstorganisation?
Selbstorganisierte Unternehmen haben einen Weg gefunden, sich in Teams ohne Horden von Managern organisieren können. Das heißt nicht zwangsläufig, dass es bei der Selbstorganisation im Unternehmen keine Hierarchien mehr gibt. Es bedeutet vielmehr, dass möglichst viel Entscheidungsgewalt in die Organisation delegiert wird. Das heißt, die Mitarbeiter tragen ein hohes Maß an Verantwortung selbst mit und entwickeln das Unternehmen gemeinsam weiter.
Frédéric Laloux hat sich in seinem Buch „Reinventing Organizations“ mit der Evolution von Organisationen und mit Unternehmensmodellen der Zukunft auseinandergesetzt. Er beschreibt selbstorganisierte Unternehmen als wandlungsfähige Organisationen, die sich an komplexe, unvorhersehbare Einflüsse schnell anpassen können. Mehr zu Laloux und dem Konzept von „Sense & Respond“ in Unternehmen erfahrt ihr in unserem Artikel zur neuen Arbeitswelt.
Wie wird man zu einem selbstorganisierten Unternehmen?
Bei der Selbstorganisation geht darum, Verantwortung, Entscheidung und Handlung zusammenzubringen: Bürokratische Prozesse, die vor allem hierarchische Organisationen prägen, werden durch eine flexible Handlungsfähigkeit ersetzt. Die Mitarbeiter und Teams organisieren sich in Kreisen. Die Teams agieren als Netzwerkorganisation. Jeder Kreis ist mit den anderen Kreisen verlinkt und es gibt einen Austausch über Teams hinweg. Selbstorganisierte Unternehmen sind geprägt durch kurze Entscheidungswege und handeln zweckgerichtet.
Von Hierarchie zur Selbstorganisation und Potenzialentfaltung
Wenn Teams schnell wachsen, entsteht der Wunsch nach Struktur, um bei all dem Wachstum die Transparenz über die Bereiche hinweg zu erhalten. In klassischen Unternehmen werden deshalb Hierarchien eingeführt. Jedoch bemerken immer mehr Unternehmen, insbesondere die, deren Produkte in einem sich schnell ändernden Markt und Wettbewerb behaupten müssen, dass sie durch mehr Hierarchien noch langsamer werden und dadurch nicht weiterkommen. Diese Unternehmen machen sich auf die Suche nach einer sinnvollen Antwort auf die Frage nach einer modernen agilen Organisationsstruktur.
Agilität in Unternehmen wird aber nicht nur durch weniger Hierarchien erreicht, denn weder Management noch Führung sind schlechte Dinge, solange sie fließend und für jeden in der Organisation zugänglich sind. Deshalb ist die Idee der Netzwerkorganisation entstanden, um die Agilität im Unternehmen zu steigern.
Selbstorganisierte Teams: Lass uns darüber reden, wie wir zusammenarbeiten
Unternehmen, die den langfristigen Lern- und Entwicklungsprozess zur Selbstorganisation wählen, passen ständig ihren Organismus an. Die echte Transformation ist ein Prozess, der begleitet werden muss, da viele Fragen entstehen und Hilfestellung für Eigenverantwortung und Selbstführung benötigt wird. Das evolutionäre Softwareunternehmen Gini, auf das wir gleich nochmal ausführlicher eingehen, hat hierzu neben Verantwortlichen im Unternehmen auch ein Handbuch erstellt, um die Mitarbeiter auf dem Weg zu selbstorganisierten Teams zu unterstützen. Beispielsweise gibt es in selbstorganisierten Unternehmen Meetings, die dazu dienen, die Arbeitsweise, wie wir zusammenarbeiten zu reflektieren und ständig anzupassen. Die Vorteile: Dieser Lernprozess ermöglicht es, agil und schnell zu werden. Wer Selbstorganisation einführt, rüstet sich für eine Zukunft, die weiterhin Wandel erfahren wird.
Voraussetzung für Selbstorganisation & agile Methoden am Beispiel von Gini
Ein Unternehmen auf dem Weg zur Selbstorganisation
Gini wurde 2011 gegründet. Gini entstand aus dem Wunsch heraus, das Leben der Menschen einfacher, weniger kompliziert und glücklicher zu machen. Die Idee war es, Papierkram loszuwerden, um mehr Raum für sinnvollere Aktivitäten zu erhalten. Die auf Basis dieser Idee entwickelte Software extrahiert aus unstrukturierten Textdokumenten – wie Smartphone-Photos, Scans und PDFs – sämtliche relevante Daten. 2017 beschloss das Münchner Unternehmen, sich von einem hierarchisch geprägten Unternehmen zu einem selbstorganisierten Unternehmen weiterzuentwickeln. Gini wird als eines der europäischen Beispiele für Selbstorganisation und evolutionäres Unternehmen in dem bekannten Buch „Brave New Work“ von Aaron Dignan genannt.
Die Organisation neu gestalten
Bei Gini werden Entscheidungen gemeinsam getroffen – in crossfunktionalen Teams und mittels klarer Prozesse. 2017 hatten die Gründer Holger Teske und Steffen Reitz das Ziel zu weiter zu wachsen. Hierzu haben sich die Gründer das Ziel gesetzt, einen starken Purpose zu entwickeln, welcher die Kultur im Unternehmen stärkt. Eine starke Kultur wiederum beflügelt eine gemeinsame Strategie und Ausrichtung für den weiteren Wachstum.
In diesem Zuge kam auch die Entscheidung für den Weg hin zur Selbstorganisation. Das dies ein langfristiger, konstanter Prozess ist, war und ist ihnen bewusst. Interne Agile Coaches wie Susanne Taylor befähigen die Teams nicht nur, agil zu arbeiten, an den agilen Arbeitsmethoden zu feilen, Sprints, Kanban Boards oder Retrospektiven effizient einzusetzen. Ebenso unterstützt Susanne die Verbesserung der Prozesse und die selbstorganisierte Zusammenarbeit. Für ein gemeinsames Verständnis über die Zusammenarbeit, Selbstorganisation, Entscheidungsfindung und die Unternehmensstruktur gibt es das Gini Handbook. Susannes Aufgabe ist es unter anderem, mit neuen Ginis beim Onboarding das Handbook durchzugehen, Fragen zu klären, gleiche Verwendung von Wörtern und eine gemeinsame Sprache sicherzustellen und festzuhalten, warum die Mitarbeiter zu Gini gekommen sind.
(c) Gini GmbH
Warum habt ihr das Gini Handbook eingeführt und was bringt es euch für eure Zusammenarbeit?
Susanne: „Das Gini Handbook ist weniger ein Buch voller Regeln, vielmehr eine Referenz oder Hilfe zur Selbstregulierung. Jeder hat die Verantwortung, das Handbuch weiterzuentwickeln: Das Handbuch kann via Google Docs von jedem jederzeit kommentiert werden mit Änderungsvorschlägen. Ich erhalte dann eine Benachrichtigung in Slack.“
Wie passt ihr euer Handbook laufend an? Worauf achtet ihr besonders? Wie haltet ihr es aktuell?
Susanne: „Die konstante Anpassung erfolgt aus der Eigenmotivation der Mitarbeiter, den sogenannten Ginis. Änderungen passieren immer dann, wenn beispielsweise die Struktur im Unternehmen erweitert wird und das noch nicht im Handbook erwähnt wird. Wir führen auch ein Verzeichnis über die Revisionen: Wenn Änderungen gemacht werden, werden diese am Ende des Dokuments mit Datum festgehalten, um Änderungen rückverfolgen zu können. Im zweiwöchentlichen Team Exchange wird der Arbeitsfortschritt der einzelnen vierteljährlichen Projekte vorgestellt. Wenn größere Veränderungen im Handbook gemacht werden sollen, wird dies im Team Exchange erwähnt. Anschließend können alle Personen, die bei dieser Veränderung mitwirken möchten, ihre eigenen Vorschläge einbringen. Diese Vorschläge werden wiederum von dem Org Team durchgesehen welche dann das Handbook auf Basis der Vorschläge anpasst.
Was sind eure drei wichtigsten Elemente für die Selbstorganisation:
- „Team Exchange“: Team Meeting alle 2 Wochen. Für alle ist die Teilnahme verpflichtend. Sollte man aufgrund von anderen, wichtigeren Verpflichtungen einmal nicht teilnehmen können, wird erwartet, dass sich die betreffende Person sowohl bei Susanne als auch beim Team „abmeldet“. In diesem Team Meeting stellt jeder vor, an was er oder sie gerade arbeitet. Das Meeting dient dazu, Fortschritt zu zeigen, Quartalsprioriäten vorstellen, Verbindlichkeiten sicherzustellen und die agile Arbeitsweise zu besprechen. Das Meeting ist auch ein Platz, um zu lernen. Am Ende des Quartals wird hier vorgestellt, ob die Quartalsprioritäten, sogenannte Rocks, erreicht wurden und falls nicht, warum diese nicht erreicht wurden und was man daraus lernen kann.
- „Gini Handbook“: Zum Onboarding der neuen Mitarbeiter zählt, dass sie zum Handbooks Fragen stellen können, insbesondere zu den Themen Selbstorganisation, Mandaten, Entscheidungsfindung mit Konsent-Prozess und Advice-Prozess.
- „Supergini Stories“: Am Ende jeden Monats treffen sich die Ginis für eine halbe Stunde, um Kollegen ihre Wertschätzung auszusprechen. Das Treffen ist nicht verpflichtend. Es dient dazu, Purpose und Werte zum Leben zu bringen. In den Supergini Stories kann jeder Gini einer Kollegin oder Kollegen Danke sagen und Wertschätzung zeigen, wenn diese Person einen der Gini-Werte ganz besonders gelebt hat. Auf Post-its wird das Verhalten niedergeschrieben und mit einem der Gini-Werte verbunden. Anschließend wird die Story mit dem Rest der Gruppe geteilt und somit die betreffende Person gewertschätzt. An dem Treffen nehmen im Schnitt ca. ein Drittel bis die Hälfte aller Mitarbeiter teil.
Selbstorganisation und Autonomie evolutionärer Unternehmen
Wer sich für die Unternehmensstruktur der Selbstorganisation von Gini interessiert, kann im Artikel von Gini mit dem Titel „How we are structured in autonomous teams as a network of interrelated autonomous teams“, zu deutsch „Wie wir als ein Netzwerk von miteinander verbundenen autonomen Teams strukturiert“ mehr erfahren.
Besten Dank an Susanne Taylor für das Interview und den Einblick in den Alltag eines selbstorganisierten Unternehmens!